Langewiesen – Selbst das frĂŒhlingshafte und zeitgleiche Nachhole-Weihnachtsoratorium im benachbarten Ilmenau zehrte kaum an der erwarteten GĂ€stezahl dieses unvergleichlichen Chorkonzert-Erlebnisses in Langewiesens Liebfrauenkirche. So ergreifend zu Herzen gehend und bewundernswert wie das noch junge Armenienhilfe-Projekt des samt Kirchgemeinde einladenden Ehepaares Michael und Gabriele Damm, Pfarrer i.R. aus Holzhausen, erklang zum Auftakt der armenische Sakralgesang âAmen Hayr Surbâ von Makar Yekmalyan (1856 â 1905).

Ăber 25.000 Erdbeben-Tote
Stimmen und Stimmung so mĂ€chtig und eindrucksvoll wie das rund 4000 Kilometer entfernt gelegene Land am Kaukasus SĂŒdhang und am FuĂe des Heiligen Berges der Armenier, dem Ararat⊠auf tĂŒrkischem Staatsgebiet.
Dass der 1994 aus ehemaligen SĂ€ngern des Knabenchores der Suhler Philharmonie gegrĂŒndete Klangkörper unter Leitung von Maik Gruchenberg (seit 2010 kĂŒnstlerischer Leiter der Halleschen Kantorei) 35-köpfig unter viel herzlichem BegrĂŒĂungs-Beifall Samstagabend in die Liebfrauenkirche einzog, hatte vor allem auch diesen Grund: Die Musiker kennen nicht erst seit ihrer groĂen Konzertreise durch Armenien im August des Vorjahres das Ehepaar Damm aus dem Ilm-Kreis-Norden als schier unverdrossene VerbĂŒndete im humanistischen Hilfe-Anliegen fĂŒr viele armenische Einzelschicksale.
âHeimat des Schmerzesâ
Seien es die ĂŒberlebenden Opfer des 1988-er Erdbebens in Spitak mit weit ĂŒber 25 000 Toten, deren Nachkommen immer noch in provisorischen Containerdörfern hausen. Oder eben die des Kaukasus-Krieges von 2020! Oder, weil Armenien oft auch als âHeimat des Schmerzesâ gilt. Der reicht weit zurĂŒck in Verfolgung, Vertreibung und bis in Zeiten des Völkermordes durch das Osmanische Reich an den Armeniern im Jahr 1915.
âZuletzt hinterlieĂ der Krieg um die Region Bergkarabach ab 2020 VerwĂŒstung, Armut und Leid, das wir hinter all den anderen Schlagzeilen hierzulande weder ermessen können, noch irgendwie vor Augen haben. Also schlicht vergessen. Weil sie so weit weg scheinenâŠâ, so Gabriele Damm bei Vorbereitung des groĂen SolidaritĂ€tskonzertes im kleinen Langewiesen gemeinsam mit Choraktivist Thorsten WeiĂ.
Sogar bei Radio Erivan
Der Suhler Vereinsvorsitzende und GrĂŒnder von âArs Musicaâ mit seinen Mannen sei in Sachen ehrenamtlicher Hilfe fĂŒr Menschen in Not und vielerlei andere soziale Projekte das Beste, was ihnenin Sachen Armenienhilfe passieren konnte, sagt Michael Damm. Schulterklopfend auch fĂŒr Thorsten WeiĂâ Vorjahrestitel âThĂŒringer des Monatsâ beim MDR.
Denn mögen die weltweiten Konzertreisen des Chores wie u.a. nach China, Japan, Chile, Portugal, RumĂ€nien, Portugal, Tschechien und ins partnerstĂ€dtische Kaluga (Russland) noch so eindrucks- und erlebnisreich gewesen sein: Ihre zehn Konzerte vom Sommer 2021 zwischen dem Tonstudio des berĂŒhmten Senders Eriwan, den Klöstern wie u.a. Sewanawank ĂŒber dem Sewansee, im Musikkonservatorium Gyumri oder in Spitak, der Stadt des Bebenepizentrums und Massensterbens von 1988 – sie gehörten zu ihren spĂŒrbar Herzens-nachhaltigsten.
Sieg gegen Bayern
Dass der Spruch âNur Tore zĂ€hlen!â letztlich auch nicht nur die gemeinsame Arbeit fĂŒr armenische Hilfsprojekte kennzeichnet, stand im Vorjahr bei einem fröhlichen Mannschaftsbild des Chores in Eriwan-City Pate: Am Denkmal der Elf des FC Ararat mischten sich die SĂ€nger unter die lebensgroĂen bronzenen FuĂballer, die 1975 den FC Bayern bezwangenâŠ
Nun aber, als das ĂŒber ein Dutzend Werke der Welt-Chormusik umfassende Konzert letztlich mit einem humorvoll um-komponierten Medley frei nach Schuberts âLaunischer Forelleâ und einer Zugabe endete, wollten es die Akteure des unvergesslichen Abends kaum glauben. Gabi Damm, wĂ€hrend die SĂ€nger im Gemeindesaal-Garten mit Bier und Bratwurst ihre âGageâ einstrichen: âZusĂ€tzlich zu den gespendeten Eintrittsgeldern von 740 Euro kamen nach Konzertende noch weitere 970 Euro an Spenden zusammen!â
âAlles wird wieder gutâ?
Gabriele Damm deutete bei ihrem herzlichen Dankeschön an den Chor und dessen Publikum lediglich an, welches Schicksal auf der Flucht vor Phosphor- und Streubomben die von ihm konkret betreute Familie eines Kriegs-toten Soldaten erleidet. Und wie man ihr zu halbwegs menschenwĂŒrdigen Wohn- und LebensverhĂ€ltnissen verhilft.
Friedrich Silchers (1789 â 1860) Chorwerk âFrisch gesungenâ enthĂ€lt die Refrain-Zeile ââŠund alles wird wieder gutâ. Das wird es fĂŒr die Menschen in Armeniens und in anderen Armuts- und (Nach-)Kriegsregionen wohl nicht so bald. Doch Damms rĂŒhrige Projekthelferin vor Ort, Stella, formulierte gerade dieser Tage bei Verabschiedung der Helfer aus dem Ilm-Kreis: âWir leben in einem sehr armen Land. Aber um manche Ecke schaut eben manchmal doch etwas Hoffnung.â
An solch einer Ecke lag am Samstag auch Langewiesens Liebfrauenkirche.
von Klaus-Ulrich Hubert