In der Weihnachtszeit 1988 sangen wir als Knaben und junge MĂ€nner ein SolidaritĂ€tskonzert fĂŒr die Menschen in Armenien, deren Heimat in diesen Tagen von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht worden war. Dass Musik trösten, Menschen erfreuen und Grenzen ĂŒberwinden kann, haben wir damals, wie auch in unseren vielen weiteren Konzerten erfahren können.
In diesen Tagen schlieĂt sich fĂŒr uns ein Kreis, wir lernen das Land und die Menschen persönlich kennen, mit dem uns seit 33 Jahren eine emotionale Beziehung verbindet, ein Land in dem der christliche Glaube lĂ€nger und tiefer verwurzelt ist als anderswo auf dieser Welt. Vor Ihnen zu stehen und fĂŒr Sie zu singen ist uns eine groĂe Ehre.
Wir möchten mit dieser Konzertreise ein Zeichen setzen und ĂŒber die Sprache der Musik dem Armenischen Volk eine Botschaft des Friedens und der Verbundenheit ĂŒberbringen. Heute wie auch schon vor 33 Jahren.

Sponsoren
Wir bedanken uns herzlich fĂŒr die UnterstĂŒtzung bei der Organisation und Finanzierung unserer Reise:

Konzerte

- 17. August 2021
15:00 Uhr â Kloster Tatev
19. August 2021
17:00 Uhr â House of Hope â Eriwan
20. August 2021
16:00 Uhr â Kloster Geghard
21. August 2021
19:00 Uhr â Konzertsaal im Komitas Museum â Eriwan

- 22. August 2021
17:00 Uhr â Black Fortress â Gyumri
23. August 2021
16:00 Uhr â Levon Kalantar Drama Theatre Gavar
25. August 2021
Kloster Sewanawank
26. August 2021
Radio Eriwan
27. August 2021
12:00 Uhr â Howhannes Tumanyan Mittelschule â Litschk
28. August 2021
19:00 Uhr â Etschmiadsin
1988 â Ein RĂŒckblick
Die musikalische Weihnachtszeit beginnt fĂŒr Hubert Voigt und seine Jungs vom Suhler Knabenchor mit Beginn des neuen Schuljahres. Von September bis Dezember proben die Jungen wöchentlich zwei bis drei Mal das Programm fĂŒr die Konzerte, die sie in der Vorweihnachtszeit in Kultur- und KlubhĂ€usern, in VeranstaltungsrĂ€umen von Museen und Erholungseinrichtungen des Bezirkes Suhl singen werden. Chorleiter Hubert Voigt ist Perfektionist, jeder Ton, jeder Einsatz soll sitzen, jede Pause will ausgehalten, jeder Text klar und deutlich gesungen werden, jedes Lied gefĂŒhlvoll und dynamisch gestaltet sein. Wenn dann der Dezember kommt, sind die mehr als 100 Jungen vom Knabenchor der Suhler Philharmonie fast jedes Adventswochenende unterwegs.
So ist es auch 1988. 1988 ist auch das Jahr, in dem am 7. Dezember ein starkes Erdbeben weite Teile Nordarmeniens erschĂŒttert. Tausende Menschen verlieren ihr Leben, Millionen ihr Zuhause inmitten eines eisigen kaukasischen Winters. Die âAktuelle Kameraâ zeigt Bilder vom Elend der Menschen, der Rundfunk der DDR berichtet, die Tageszeitungen schreiben. Informationen ĂŒber die verheerenden Auswirkungen und das Leben nach dem Beben im Kaukasus, die die Medien der DDR den BĂŒrgern ihres Landes zum Teil vorenthalten, er-fahren diese aus dem Westfernsehen und -rundfunk. So ist auch fĂŒr viele von ihnen un-ĂŒbersehbar, wie dringend Hilfe fĂŒr die Menschen im Kaukasus nötig ist.
FĂŒnf Tage nach dem Erdbeben, am 12. Dezember, Montagvormittag, steht Hubert Voigt im PfarrbĂŒro der Suhler Hauptkirchen-Gemeinde am Kirchberg 6 und fragt Pfarrer Hans Michael, ob es möglich sei, am kommenden Sonnabend ein Konzert in der Hauptkirche zu geben als Hilfe fĂŒr die Erdbebenopfer in Armenien. Pfarrer Michael zögert bei seiner Zusage nicht. Zum einen wĂŒnscht er sich schon lange ein Knabenchorkonzert in seiner Kirche. Zum anderen kommen ihm die armenischen Reisegruppen in den Sinn, die, wenn sie Suhl besuchen, auch in seine Kirche gehen, ihn bitten die Orgel spielen zu hören. Ihnen stecken Pfarrer Michael und seine Frau heimlich Bibeln in armenischer Sprache zu, weil sie diese in der Sowjetunion nicht kaufen können. Diesen Menschen muss geholfen werden. Das steht fĂŒr Hans Michael fest.
Chorleiter und Pfarrer wissen, dass es dem Knabenchor verboten ist, in der Suhler Hauptkirche zu singen, dass es Probleme geben wird, vor allem fĂŒr Voigt, der eine Anstellung bei der Suhler Philharmonie hat und den KonzertplĂ€nen der staatlichen Gremien verpflichtet ist. Das hĂ€lt die beiden MĂ€nner nicht von ihrer Entscheidung ab.
Es bleiben ihnen fĂŒnf Tage, das Konzert vorzubereiten. Voigt hofft, dass die Ausrichtung des Konzertes als SolidaritĂ€tskonzert ihren Plan legitimieren wĂŒrde, zumal SolidaritĂ€tsaktionen in der DDR in der Vorweihnachtszeit ĂŒblich sind. Allerdings werden sie bis dato von staatlicher Seite organisiert und gelenkt. 1988 fehlen groĂe SolidaritĂ€tsaufrufe fĂŒr die Armenische SSR in der DDR. Möglich, dass die SED-Ideologen befĂŒrchten, dass die DDR-BĂŒrger ein falsches Bild vom âGroĂen Bruderâ bekommen, wenn Hilfe fĂŒr eine der Sowjetrepubliken groĂflĂ€chig thematisiert wird. Vorstellbar aber auch, dass man eine UnterstĂŒtzung durch die DDR nicht fĂŒr notwendig befindet. Immerhin engagieren sich die westeuropĂ€ischen Staaten, erhĂ€lt Armenien eine groĂe Spendensumme aus den USA. Ăber die âWennsâ und âVielleichtsâ machen sich beide keine Gedanken.
Auf die KonzertankĂŒndigung reagieren als erstes die Bezirksstellen der SED. Sie verbieten Hubert Voigt, mit dem Knabenchor in der Kirche zu singen. Kurzentschlossen wendet sich Pfarrer Michael an Bischof Johannes Braun in Magdeburg, der in Berlin bei Kurt Löffler, StaatssekretĂ€r fĂŒr Kirchenfragen der DDR, interveniert. Löffler gelingt es beim Rat des Bezirkes Suhl am Dienstagnachmittag, eine Erlaubnis fĂŒr das Konzert zu erwirken. Noch ein Abend und drei Tage bleiben, das Konzert zu bewerben, Eintrittskarten zu verkaufen, die Kirche vorzubereiten. Dienstagnacht gehen Pfarrer Michael und seine Frau spĂ€t zu Bett. Sie malen Plakate. Weil es ein ernstes Thema ist, wĂ€hlt Frau Michael ein dunkles Violett als Untergrund, weiĂes Papier fĂŒr die Kerze, der Kerzenschein wird aus gelbem Papier ausgeschnitten und aufgeklebt, die Daten von Hand geschrieben. Am Mittwoch verteilen sie die Plakate in der Stadt. Ein extra groĂes Plakat bringen sie in der Kirche an, erinnert sich Renate Michael. Die kleineren hĂ€ngen in den SchaukĂ€sten der Kirche, des Gemeindehauses, Kindergartens, in den Schaufenstern evangelischer Ladenbetreiber in Suhl. Ein einspaltiger Programmhinweis im âThĂŒringer Tageblattâ, eine Meldung im FAJAS-Betriebsfunk, wobei nicht sicher ist, ob fĂŒr das Konzert geworben oder vom Besuch dringend abgeraten wird, sind die einzigen WerbemaĂnahmen auĂerhalb der Suhler Gemeinde. Die in Suhl meist gelesene Tageszeitung, das âFreie Wortâ, schweigt. FĂŒr die Eintrittskarten sucht Pfarrer Michael einen Satz aus der Weihnachtsbotschaft im Lukas-Evangelium aus und schreibt ihn auf Armenisch aufs Papier. Als Preis notiert er 6,05 Mark, ermĂ€Ăigt 3,05 Mark.

Am Samstagnachmittag, am 17. Dezember, finden sich in der Suhler Hauptkirche weit mehr als 1.000 Menschen ein. Die KirchenbĂ€nke reichen nicht fĂŒr die Besucher. StĂŒhle werden herangetragen, manche Besucher mĂŒssen stehen bleiben. 1050 Karten sind verkauft worden. Die Kirche ist so voll wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Ehepaar Michael und seine Helfer haben sie geputzt, geheizt und geschmĂŒckt. Es ist eine besondere Stimmung im Gotteshaus. Die Jungen vom Knabenchor stellen sich auf und beginnen zu singen. Sie singen Bachs âO Jesulein zartâ und âWachet auf! Ruft uns die Stimmeâ, SchĂŒtzs âLobet Gott mit Schallâ, die alten Volksweisen âEs ist ein Ros entsprungenâ und âEs ist so still gewordenâ, weniger alte Weihnachtslieder wie Siegfried Köhlers âTausend Sterne sind ein Domâ und âStill senkt sich die Nacht herniederâ von Gerhard Wohlgemuth. Der Knabenchor teilt sich den musikalischen Nachmittag mit dem Suhler Hornquartett. Auch die vier BlĂ€ser spielen weihnachtliche Weisen. Bevor alle auseinandergehen, erfĂŒllt der gemeinsame Gesang von Knabenchor und Publikum das Gotteshaus. Bei âGuten Abend, schön Abendâ und âOh Tannenbaumâ sind alle textsicher. Im Publikum sitzt Hennig Kohl, einer der ChorsĂ€nger. Auch wenn er nicht mitsingt, er war im Oktober aus der NVA entlassen worden und hatte an den Proben nicht teilnehmen können, ist es fĂŒr ihn selbstverstĂ€ndlich. das Konzert zu besuchen. Er und seine Familie sind wie viele andere erfĂŒllt vom Wunsch zu helfen und sich einig, dass die Suhler Hauptkirche ein angemessener und wĂŒrdiger Ort fĂŒr dieses Vorhaben ist. Aus diesem Grund sind sie hier. An diesem Samstagnachmittag in der Vorweihnacht des Jahres 1988 hat nicht nur das Anliegen der Initiatoren, SolidaritĂ€t zu ĂŒben, die Menschen in der Suhler Hauptkirche zusammengebracht, sondern auch deren BedĂŒrfnis nach einer besinnlichen Stunde in der Adventszeit in der Kirche ihrer Stadt.
Wieder Montag. Am 19. Dezember steht Hubert Voigt erneut im BĂŒro von Pfarrer Michael. Die Einnahmen von Kartenvorverkauf und Kollekte sind gezĂ€hlt und belaufen sich auf 12.000 Mark der DDR. Mit dieser Summe hatte niemand gerechnet. Chorleiter und Pfarrer sind ĂŒberwĂ€ltigt. Es war fĂŒr sie eine aufregende Woche, in der sich die beiden MĂ€nner etwas getraut haben, das eigentlich unmöglich schien. Sie haben ein weihnachtliches Kirchenkonzert ohne offizielle UnterstĂŒtzung organisiert und durchgefĂŒhrt. Die 12.000 Mark ĂŒberweist Hubert Voigt komplett auf das Konto 444 des SolidaritĂ€tskomitees der DDR. Handschriftlich fĂŒgt er das Wort Kaukasus hinzu in der Hoffnung, dass die Summe genau dort Verwendung finden möge.

FĂŒr Hubert Voigt bleibt das Konzert nicht ohne Folgen. Er muss sich disziplinarisch verantworten. Weitere Kirchenkonzerte werden ihm strikt verboten. Dass dieses Verbot ein Verfallsdatum hat, wissen die, die es Anfang 1989 aussprechen, noch nicht. Fast genau ein Jahr spĂ€ter, am 16. Dezember 1989, begeistert sein Suhler Knabenchor das Publikum in der Marienkirche in WĂŒrzburg und tritt am 21. Dezember mit seinem Weihnachtsprogramm in der Zella-Mehliser St. Blasii Kirche auf. Konzerte in den Suhler Kirchen, ob vom Suhler Knabenchor oder von âArs Musicaâ, sind zur SelbstverstĂ€ndlichkeit und nach fast 30 Jahren Tradition geworden.