2007, Kritiken

Die wunderbaren Flügel des Gesangs

ARS MUSICA UND ALLGÄUER KAMMERCHOR – So schön kann ein Abschiedskonzert sein: Glänzende Augen und Dankesworte an Hubert Voigt

Es gibt Konzerte, da muss man erst von deren Ende schreiben, bevor man zum Anfang kommt. Weil dies etwas mit ihrem besonderen Charakter und dem Ort zu tun hat. So wie jenes am Sonntag in der Hauptkirche. Noch dazu, wenn Abschied im Spiele ist.
SUHL – Weil nämlich einer seinen Abschied gibt, der nicht mehr in dieser Stadt wohnt, aber dennoch nicht von ihr lassen kann. Weil Menschen dieser Stadt ihn feiern, ihm Danke sagen und ihn an ihr Herz drücken. So, als sei er doch nie weg gewesen.

Das ist schon eine eigentümliche Situation.
Als erster bedankt sich Superintendent Martin Herzfeld für Hubert Voigts und Ars Musicas Treue zu Suhl. Herzfeld, der 2002 hierher kam, weiß wenig um die Vorgeschichte, aber um die wunderbaren Konzerte alljährlich in der Kreuzkirche, und er weiß um die Unterstützung von Voigt und seinen Sängern für die Eilert-Köhler-Orgel. Auch dank der Konzerte dieses Chores, verbunden mit Spenden von Bürgern, kamen beträchtliche Summen für die Restaurierung zusammen. An jenem Sonntag noch einmal rund 500 Euro, die beim Orgelbauförderverein willkommen sein dürften. Herzfeld bekommt glänzende Augen, wenn er von seiner Freude über dieses Konzert spricht, das er nicht vergessen wird.

Bach und Wein Auch Kulturamtsleiter Matthias Rolfs hat glänzende Augen. Er überreicht Hubert Voigt einen guten Tropfen Wein aus jenem Gebiet, das der Musikpädagoge seit vierzehn Jahren genauso gut kennt wie die Suhler Umgebung, und Noten eines Komponisten, der Thüringen ebenfalls gut kannte: Johann Sebastian Bach. Beifall vom Publikum. Doch dann spricht Rolfs den Zuhörern so eigentlich aus dem Herzen. Er lobt Voigt als einen Künstler, der mit Leidenschaft an seinem Beruf hänge und dem die hiesigen Bürger viel verdankten. „Herr Voigt, Sie haben sich die Treue, den Respekt und die Liebe der Suhler erworben – das schafft hier nicht jeder.“

Tosender Applaus dafür, als sollte damit jedes Wort nochmals extra unterstrichen werden. Die Suhler, die an jenem Nachmittag auf den Kirchenbänken sitzen, wissen, warum sie kamen. Weil sie sich Hubert Voigt verbunden fühlen, weil sie seine Arbeit schätzen und weil sie in Erwartung eines besonderen Erlebnisses sind. Das sie auch bekommen. Am Ende große Freude auf allen Gesichtern – beim Publikum, das begeistert stehend applaudiert, und bei den Akteuren, die so viel Herzlichkeit und Sympathie vielleicht nicht unbedingt erwartet hatten. Und mittendrin ein sichtlich ergriffener Hubert Voigt. So schön kann ein Abschied in Suhl sein.

Da möchte man doch gar nicht daran rühren, dass es vor vierzehn Jahren allen Ernstes Stimmen in der Stadt gab, die Konzerte von Ars Musica zu boykottieren … „Die Zeit ist ein sonderbar Ding“, das wusste schon Straussens Marschallin im „Rosenkavalier“.

Die Zeit, sie ist auch für Voigts aktives Berufsleben abgelaufen. Der Ruhestand in Sicht. Bei ihm dürfte es eher ein Unruhe-Zustand werden. Denn wer solche großartigen Chöre geformt hat, wie diese beiden, der dürfte nicht sogleich loslassen wollen. Und weil Ars Musica und dieser vorzügliche Mädchenkammerchor der Jugendmusikschule „Württembergisches Allgäu“ in Wangen diese zweite Lebensleistung Voigts – nach dem Suhler Knabenchor – so wunderbar widerspiegeln, war es naheliegend, sie in einem gemeinsamen Konzert zu vereinen. Hört her – so können Chöre klingen, wenn man Kraft, Können und Leidenschaft investiert. Und wenn man junge Menschen auf einen anstrengenden, aber lohnenden künstlerischen Weg mitzunehmen versteht.


Ein Konzert zweier Amateurchöre dieses Niveaus dürfte so bald in Suhl nicht wiederholbar sein. Ars Musica war auf den Punkt präsent, wie es wohl nur Auftritte unter besonderen Umständen ermöglichen. Opulente, relativ helle Tonfülle, flexible Dynamik, saubere Intonation und stilistisch sicher in den geistlichen Gesängen zwischen Altem Musiker Purcell und Neutöner Lukowsky. Türnpus verhaltendes „Kyrie“ – ein Musterbeispiel an stimmlicher Beweglichkeit und feiner Gestaltung.

Exzellent die hell strahlenden Mädchen- und Frauenstimmen. Schumanns „Wassermann“ so betörend, beinahe naiv und dennoch abgründig zu singen, das funktioniert nur, wenn die Stimme solistisch trainiert ist und beherrscht wird. Auch Brahms „Vier Lieder aus dem Jungbrunnen“ sind Herausforderungen, die eines soliden Fundamentes bedürfen. Im letzten Teil des Programms setzt Voigt dann ganz auf die Klang-Besonderheit eines gemischten Chores. Und aufs effektvolle Repertoire, wozu zweifellos Gesänge der russischen Liturgie gehören. Die hat sich Ars Musica schon vor Jahren in beeindruckender Wiedergabe erobert. Mit den kontrastierenden weiblichen Stimmen bekommen Tschaikowskis und Archangelskis Liturgien zudem einen ganz eigentümlichen Reiz. Und wenn sie nicht so inniglich und schlicht gesungen worden wäre – man hätte diese Zugabe von Bruckners „Ave Maria“ fast ein wenig als koketten allerletzten Schlusspunkt einer wunderbaren Begegnung auf den Flügeln des Gesangs empfinden können. Aber eben nur fast.

[message_box type=”note” icon=”yes” close=”Hide”]Erschienen im Freien Wort 23.05.2007
Autor: Lilian Klement
Foto: frankfoto.de
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