2007, Kritiken

Ein großes Ständchen zum Abschied

ARS MUSICA UND ALLGÄUER KAMMERCHOR

Ein Suhler ist er schon lange nicht mehr. Doch es zieht ihn immer wieder in die Stadt zurück, der er vor vierzehn Jahren nur ungern den Rücken kehrte und ihr trotzdem etwas hinterließ: den Knabenchor. Der wäre ohne Hubert Voigt undenkbar.

SUHL – Auch wenn der Chor heute ein anderer ist als damals, 1992, auf seinem Höhepunkt.

Zwanzig mühsame Jahre hatte Voigt dorthin gebraucht. Es brauchte keine zwanzig Jahre, ihn wieder in die künstlerische Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Für die Stadt ist er sicher weiter eine reizvolle Facette im Gefüge der verschiedenen Chöre, aber nicht mehr jene Perle, die sie einstmals war.

Ein Teil dieses Knabenchores, der 1972 entstand, lebt heute in Ars Musica weiter, bis auf zwei sind alle Männer durch Voigts Schule gegangen. Ars Musica ist eine verschworene, über Jahrzehnte verbundene Gemeinschaft, ein erstklassiger, preisgekrönter Männerchor mit Suhler Wurzeln. Ob der entstanden wäre, wäre Voigt nicht vergrault worden? Aber wie so vieles im Leben hat jedes Ding zwei Seiten. In diesem Falle Ars Musica.

Und weil das so ist, gibt es für den 64-jährigen Hubert Voigt gute Gründe, seinen beruflichen Ausstand im Sommer nicht nur in der neuen Heimat Wangen mit einem feinen Konzert zu geben, sondern auch in Suhl. Jene Stadt, die er von 1969 bis 1993 als Chorpädagoge maßgeblich prägte. Der er eine gewisse Treue hielt, und sei es nur mit den monatlichen Proben von Ars Musica im Heinrichser Gemeindehaus und ein bis zwei Konzerten jährlich. Das jüngste fand unmittelbar vor Heiligabend in der Kreuzkirche statt und war wie so viele Jahre zuvor ein Selbstläufer beim Publikum.

Der Auftritt an diesem Sonntag in der Hauptkirche ist für Voigt nicht nur deshalb ein ungewöhnlicher, weil er sich in den „Altersruhestand“ zurück zieht, wie er sagt, sondern auch, „weil es in den Sternen steht, ob ein Programm dieser Gestalt überhaupt noch einmal denkbar wäre“.

Was Hubert Voigt spricht, klingt ein wenig verrätselt, klärt sich aber, wenn man auf die Mitwirkenden und auf den Inhalt schaut. Neben Ars Musica kommt der Kammerchor der Jugendmusikschule „Württembergisches Allgäu“ in Wangen nach Suhl. Eines jener leistungsstarken Ensembles, die Voigt dort zielstrebig aufgebaut hat. Die Mädchen sind bekannt für ihr exzellentes Singen, beim internationalen Johannes-Brahms-Wettbewerb 2005 in Wernigerode erhielten sie ein Silbernes Diplom. Beide Chöre bringen einen eigen Programmteil zu Gehör und gestalten zudem einen gemeinsamen Part.

Lebensleistung

Ars Musica hat dafür Werke des 17. bis 20. Jahrhunderts ausgewählt – von Henry Purcells „Lobt den Herrn der Welt“, über „Cantate“ von Richard Strauss bis zum „Ave Maria“ von Rolf Lukowsky. Der Kammerchor aus dem Allgäu hingegen setzt den Schwerpunkt mit romantischem Liedgut, beispielsweise Brahms‘ „Vier Lieder aus dem Jungbrunnen“. Der gemeinsam gesungene Teil beginnt mit Felix Mendelssohn Bartholdys „Die Nachtigall“ und endet mit einer Liturgie von Tschaikowski.

Einen zusätzlichen Reiz erfährt das Konzert eben durch jene Mischung der Stimmen, von denen die jüngste weiblich und fünfzehn ist und die älteste vierzig und männlich.

Voigt merkt man schon am Telefon die besondere Freude auf diesen Auftritt an. Selbst wenn das Programm am Samstag bereits in der Erfurter Reglerkirche erklingt – Suhl ist eben noch immer ein besonderes Pflaster für ihn. Hier hat der ehrgeizige wie fähige Pädagoge und Künstler den größten Teil seiner Lebensleistung gebracht, und hier ist er in gewisser Weise darum gebracht worden. „Der Knabenchor war mein Fleisch und Blut“, bekennt er selbst nach vierzehn Jahren noch.

Nein, er hadert nicht mehr, dass Suhl damals leichtfertig eine Chance vertan hat, dem seinerzeit außergewöhnlich hohen Niveau des Knabenchores eine Perspektive zu geben. Voigt hatte sie in der Anbindung an das Herder-Gymnasium gesehen. Das Kultusministerium – damals mit Dieter Althaus als Minister – war bereit, die Weichen zu stellen. In Suhl winkte man ab. Was hätte heute sein können …

Der Knabenchor wurde zu DDR-Zeiten – 1977 – dank des damaligen Chefdirigenten der Philharmonie, Siegfried Geißler, an das Orchester angegliedert, Voigt bekam dort eine Stelle. Der erfahrene Chefdirigent wusste sehr wohl, warum er dies tat. Er sah die Möglichkeiten und Potenzen des sich entwickelnden Ensembles, und er sah, dass da einer war, der die Fähigkeiten hatte, aus der 1972 gegründeten Sangesgemeinschaft von kleinen Jungs einen veritablen Knabenchor zu machen und dafür die richtigen Bedingungen brauchte. Einen Chor nach internationalem Vorbild war Voigts klares Ziel.

Motivieren, Begeistern

Die Zukunft sollte zeigen, dass Geißler recht behielt. Allmählich formten sich das Klangbild, der Ton, die Ausstrahlung. Der Name „Suhler Knabenchor“ erlangte einen guten Ruf, die Suhler traten regelmäßig im Fernsehen auf und konnten mit den leistungsstarken Sangesknaben der Republik in Jena, Dresden oder Frankfurt mithalten. Sogar eine viel beachtete Uraufführung des Komponisten Jürgen Golle „Die Bäume“ gelang hier.

Voigt wusste, dass man einen Chor mit Kindern und Jugendlichen reifen lassen muss und nicht überfordern darf. Dazu gehörte ebenso eine kluge Werkauswahl. An Bachs Motette „Jesu, meine Freude hat er vier Jahre gearbeitet, bis sie aufführungsreif war. Vertrauensvoll und väterlich streng sei sein Umgang mit den Jungs gewesen, wiewohl das Gewinnen und Begeistern nicht minder wichtig gewesen seien. Für einen Großteil seiner Knaben war es derart prägend, dass sie den Gesang in Ars Musica mit ihm fortsetzten. Bis auf den heutigen Tag.

[message_box type=”note” icon=”yes” close=”Hide”]Erschienen im Freien Wort 18.05.2007Autor: Lilian Klement[/message_box]